Kampf um Aufmerksamkeit
Unternehmen kämpfen um knappe Ressourcen. Eine der wertvollsten Ressourcen ist heute: Aufmerksamkeit. Wie lässt sich in der Welt der Aufmerksamkeitsökonomie Geld verdienen und Karriere machen?
Ein paar tausend Herzen bei Instagram, hunderte Likes bei Facebook, zahlreiche Follower bei Twitter und zustimmende Kommentare
von Branchenkollegen bei Linkedin: All das sind virtuelle Beweise dafür, dass eine Botschaft die Aufmerksamkeit vieler Menschen
geweckt hat. Das macht diese virtuellen Rückmeldungen heute zu einer wertvollen Währung. Wer Aufmerksamkeit auf sich selbst,
auf ein Produkt oder eine Marke zieht, steigert deren Wert – oder gibt ihr sogar überhaupt erst einen Wert. Denn es gibt zwar Produkte
und Dienstleistungen aller Art im Überfluss. Auch Informationen sind längst jederzeit im Übermass mit wenigen Klicks verfügbar. Doch die
Aufmerksamkeit der Menschen, die diese Güter und Dienstleistungen kaufen und nutzen, und die sich für diese Informationen interessieren
sollen - die ist immer schwerer zu gewinnen.
Dieses Phänomen, das unter dem Schlagwort der Aufmerksamkeitsökonomie diskutiert wird, ist grundsätzlich nichts Neues.
Schon der Ökonom John Kenneth
Galbraith verwies in den 1950er Jahren darauf, dass eine Gesellschaft, die mit Waren und Gütern im Überfluss versorgt ist, Knappheiten –
und damit den Wert eines Gutes – simulieren muss, um die Mechanismen von Angebot und Nachfrage aufrecht zu erhalten. Durch die Digitalisierung
kommt nun noch ein Effekt hinzu: Immer mehr Güter und Dienstleistungen können digital angeboten und nahezu kostenlos produziert und vertrieben
werden. So produzieren Unternehmen heute schon Musik und Filme und bieten diese zu Kosten nahe Null über Streaming- und Download-Dienste an.
In Zukunft, sagen einige Ökonomen voraus, könnten durch 3D-Druck, Robotik und Automatisierung auch viele weitere Märkte eine ähnliche
Entwicklung durchmachen. Der Silicon-Valley-Ökonom
Jeremy Rifkin spricht etwa vom Phänomen der Null-Grenzkosten-Gesellschaft: Wenn immer mehr Güter durch die Digitalisierung frei verfügbar
sind, werden bislang gültige Mechanismen der Marktwirtschaft ausser Kraft gesetzt. Die britischen Ökonomen Jonathan Haskel und Stian Westlake
beschreiben diesen Strukturwandel von einer materiellen zur immateriellen Wirtschaft in ihrem aktuellen Buch als Entwicklung hin zu einem
„Kapitalismus ohne Kapital“. Wichtig ist in Zukunft demnach weniger der Zugang zu Maschinen, Immobilien, materiellen Werten – und vielmehr
der Zugang zu immateriellen Werten.
Was ist damit gemeint? Nun: Uber, das wertvollste Taxiunternehmen der Welt, kauft keine Autos. Airbnb, der grösste Unterkunftvermittler,
investiert nicht in Immobilien und betreibt keine Hotels. Facebook, der grösste Medienkonzern, produziert selbst keine Inhalte. Dennoch
sind diese Unternehmen wachstumsstark und einflussreich. Sie haben Geschäftsmodelle auf Basis immaterieller Güter entwickelt.
Diese Zukunftstrends sind damit schon heute Einflussfaktoren bei der Frage, wer mit welchen Jobs wie viel Geld und Macht gewinnen kann.
Während Rifkin davon überzeugt ist, dass wir künftig auf dezentralen Tauschbörsen all die kostenlosen digitalen Güter und Dienstleistungen
gegeneinander eintauschen und sie kollaborativ nutzen werden, gehen etwa Haskel und Westlake von einem anderen Szenario aus. Sie erwarten,
dass die Gewinner des anstehenden Strukturwandels diejenigen Branchen, Unternehmen und Menschen sind, die geistiges Eigentum anhäufen, in
einer digitalen Welt funktionierende Wertschöpfungsketten aufbauen und erfolgreich Marken aufbauen und pflegen.
Diese Firmen können sehr schnell wachsen und hohe Gewinne generieren. Es gilt also in Zeiten der Digitalisierung zum einen mehr denn je
das bekannte Paradigma der Wissensgesellschaft: Nur wer in Bildung investiert und sich permanent weiterbildet, hat die Chance auf einen
gut bezahlten Job in wachstumsstarken Branchen und Unternehmen. Hinzu kommt der Faktor Aufmerksamkeit: Wer es schafft, Aufmerksamkeit für
seinen Arbeitgeber und die eigene Kompetenz zu generieren, steigert seinen Wert. Schon heute sprechen viele Unternehmen davon, ihre
Mitarbeiter zu „Corporate Influencern“ zu machen.
Mit ihrer eigenen Glaubwürdigkeit sollen sie in ihren privaten und professionellen „Communities“ dafür sorgen, dass Vertrauen auch dem
Unternehmen, seinen Botschaften und Produkten entgegengebracht wird.
Schon heute ist zu beobachten, wie schwer es ist, die eigenen Informationen und das eigene Wissen als wertvoll zu vermarkten.
Nicht nur, weil so viele Kanäle und Akteure um die Aufmerksamkeit ringen. Auch das Vertrauen in Fakten und Experten schwindet.
Hat der Wissenschaftler recht, der vor dem Klimawandel warnt? Kann man dem Wirtschaftsforscher glauben, der über die Folgen der
Digitalisierung spricht? Dem Mitarbeiter eines Unternehmens, der in den sozialen Netzwerken als Insider über die Vorteile einer
Dienstleistung oder eines Produktes spricht? Dem Journalisten, der von außen über das Verhalten eines Unternehmens berichtet?
Oder sind das alles „Fake News“?
Wer künftig als wertvoller Mitarbeiter zu den Top-Verdienern gehören möchte, sollte sich in dieser Welt der Aufmerksamkeitsökonomie überlegen,
wie sich zwei Ziele erreichen lassen. Erstens: Der Aufbau und Schutz des eigenen geistigen Eigentums und der eigenen Glaubwürdigkeit.
Und zweitens die Positionierung der eigenen Person als Marke, die die Aufmerksamkeit der richtigen Leute auf sich zieht und in den richtigen
Communities Vertrauen geniesst. Vielleicht gehören die Likes und Herzchen der eigenen Follower zusammen mit Daten über die Anzahl von
Kontakten, Retweets und Reichweiten in Branchenkreisen schon bald als relevante Leistung in den Lebenslauf – und das nicht nur für Social
Media Manager und Kommunikationsprofis.