Geld ohne Arbeit – Arbeit ohne Geld
Bedingungsloses Grundeinkommen? Nette Idee – aber nicht umsetzbar, sagen Kritiker. Gescheiterte Experimente scheinen diese Einschätzung zu bestätigen. Warum halten dennoch so viele Menschen an der Idee fest?
Was würden Sie tun, wenn Ihnen jemand jeden Monat genug Geld schenkt, um die Miete für eine kleine Wohnung, ausreichend Nahrungsmittel, Kleidung und sonstige notwendige Güter des Alltagsbedarfs zu bezahlen? Würden Sie weiter arbeiten wie bisher? Ihre Arbeitszeit reduzieren? Den Job wechseln? Oder würden Sie kündigen, um Ihre Zeit fortan Hobbys, Reisen, Freunden und der Familie zu widmen, einen Roman zu schreiben oder sich ehrenamtlich zu engagieren? Was würden Sie tun, wenn es ein bedingungsloses, solidarisches Grundeinkommen gäbe – nicht nur für Sie allein, sondern für alle Menschen?
In kaum einem anderen Land haben sich die Menschen diese Fragen so intensiv und in einer so breiten Diskussion gestellt wie in der Schweiz. Denn in keinem anderen Land hatten die Menschen bislang die Möglichkeit, darüber abzustimmen, ob sie das wollen: ein bedingungsloses Grundeinkommen, für alle Bürger des Landes. Die Antwort bei der Abstimmung im Jahr 2016 fiel eindeutig aus: Zwei Drittel der Schweizer halten das für keine gute Idee. Dabei hatten Umfragen gezeigt: Nur rund zwei Prozent der Schweizer hätten laut eigenen Aussagen in diesem Fall aufgehört zu arbeiten. Gleichzeitig glaubte jedoch rund ein Drittel der Schweizer, dass ihre Mitbürger sich auf die faule Haut legen würden. Es fehlte also wohl nicht zuletzt am Vertrauen in die Mitmenschen, um dem Grundeinkommen zuzustimmen. Nach der gescheiterten Abstimmung erlitten Befürworter des Grundeinkommens zuletzt eine weitere Schlappe: Ein vielbeachtetes Pilotprojekt scheint gescheitert zu sein. Finnland hatte testweise 2.000 Arbeitslosen ein Grundeinkommen ausgezahlt – zog dem Projekt aber nach nicht einmal zwei Jahren nun den Stecker und will stattdessen andere Modelle ausprobieren, um die Sozialsysteme zu modernisieren.
Trotz solcher Rückschläge glauben weiterhin sehr viele Menschen an die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens. In Deutschland sprachen sich im März rund 60 Prozent der Befragten in einer repräsentativen Umfrage für ein solches Modell aus – quer durch alle Schichten, nahezu unabhängig von Parteizugehörigkeiten. Und in der Schweiz bewerben sich gerade mehrere Dörfer darum, als «Modelldörfer» zu testen, wie ein Grundeinkommen das Zusammenleben im Ort verändern würde.
Philip Kovce, Ökonom und Philosoph am Basler Philosophicum, kritisiert solche zeitlich begrenzten, lokalen und auf wenige hundert oder tausend Teilnehmer begrenzten Experimente: «Man muss das Grundeinkommen realisieren, nicht testen», konstatiert er. Experimente wie in Finnland seien von Beginn an zum Scheitern verurteilt. «Ein bedingungsloses Grundeinkommen lässt sich ebenso wenig testen, wie sich Demokratie, Rechtsstaat oder Menschenrechte testen lassen», erklärt er. Man könne sie nicht üben, sondern lediglich als Gesamtgesellschaft ausüben. Warum aber sollten Regierungen ernsthaft erwägen, ein Grundeinkommen flächendeckend für alle Bürger einzuführen, statt es bei kleineren Experimenten zu belassen? «Von einem Nischenthema teils weltfremder Idealisten ist das Grundeinkommen inzwischen zu einem Lieblingsthema sogar von Pragmatikern geworden, die künftig voll automatisierte Fabriken arbeiten und die Menschen dadurch nicht benachteiligt sehen wollen», erklärt Kovce.
Denn viele Menschen glauben: Das Grundeinkommen könnte die Antwort auf die zunehmende Verdrängung des Menschen durch intelligente Maschinen in einer digitalisierten Arbeits- und Wirtschaftswelt sein. Bereits jetzt haben Online-Plattformen wie Uber oder AirbnB reguläre Arbeitsplätze verdrängt – und sie durch weitgehend unregulierte Gelegenheitsjobs für Freiberufler und geringfügig Beschäftigte ersetzt. Ein Grundeinkommen würde zum Beispiel solche schlechter bezahlten Arbeitsstellen attraktiver und sozialer gestalten und so auch in einer digitalisierten Wirtschaft mehr Menschen zu Jobs verhelfen - ohne dass sie Sorge um ihre finanzielle Sicherheit haben müssten.
So unvorstellbar ein solches Modell heute noch vielen erscheint: Selbst im Mutterland des Kapitalismus, den USA, halten viele Wissenschaftler, Ökonomen und Technik-Experten eine digitalisierte und gleichzeitig soziale Wirtschaftswelt nur auf Basis eines Grundeinkommens für möglich. Silicon-Valley-Unternehmer und -Visionär Martin Ford sieht in der Kombination aus Sharing-Economy und Grundeinkommen etwa eine Art Utopie für Realisten: In Zukunft müssten wir in einer Welt ohne klassische Jobs Geld verdienen, erklärt er. Das könne nur funktionieren, wenn Arbeit und Einkommen voneinander getrennt würden.
Da verwundert es nicht, dass auch in der Schweiz das Thema Grundeinkommen nicht aus den öffentlichen Debatten verschwinden will. Viele Schweizer gehen davon aus, dass es zu weiteren Abstimmungen über das Thema kommen wird. Ökonom Kovce hält diese anhaltende Debatte und konkrete Verhandlungen über die Machbarkeit des Modells für den richtigen Weg: «Die Schweizer werden nicht als Versuchskaninchen, sondern als Souverän gefragt», analysiert er. Bei dem Referendum ging es schliesslich nicht um ein soziales Experiment, sondern um eine handfeste Verfassungsänderung. Der Diskurs und die öffentliche Debatte hätten einiges in Bewegung gebracht.
Auch Lohncheck-Experte Tobias Egli ist sich sicher: «Das Thema Grundeinkommen wird uns in den nächsten Jahren noch weiter beschäftigen.» Denn angesichts der Mega-Trends rund um die Digitalisierung der Arbeitswelt und des Alltags seien viele Menschen verunsichert – und die Suche nach neuen sozialen und politischen Modellen, um negative Folgen der Digitalisierung zu verhindern, werde weitergehen. «Es wird mindestens eine weitere Abstimmung zum Grundeinkommen geben.»