Meins, deins, unseres
Online-Dienste wie Uber, Deliveroo und Airbnb gelten vielen als Vorboten einer Sharing Economy, in der Menschen Produkte teilen, tauschen und gemeinsam nutzen, statt sie zu kaufen. Über Online-Dienste wird allerdings auch Arbeitskraft geteilt. Wie verdienen wir noch Geld in einer solchen Wirtschaftswelt?
Wer schon mal versucht hat, ein zweijähriges Kind zum Teilen eines Spielzeugs zu überreden, der weiss: Menschen mögen es sehr, Dinge zu besitzen. Und was sie besitzen, das geben sie nur äusserst ungern wieder her. „Meins!“ ist eines der ersten Wörter, das kleine Menschen aus eigenem Antrieb lernen und ausgiebig benutzen. Teilen hingegen will gelernt sein. Im Lauf der Zeit begreifen Kinder, dass es viele Vorteile bringt, Ressourcen zu teilen und gemeinsam zu nutzen.
Momentan sollen auch viele erwachsene Menschen lernen, Dinge zu teilen, die sie bislang bevorzugt als ihren exklusiven Besitz betrachtet haben. Autos, Fahrräder, Wohnungen, Musik, Parkplätze, Sofas, Wissen, Werkzeuge, Küchengeräte, Spielzeug. Online-Dienste machen es möglich, all diese Dinge effizient gemeinsam zu nutzen. Sharing is caring! So lautet der Wahlspruch der Befürworter dieses Wandels. In einer Sharing Economy stehen Autos nicht den halben Tag ungenutzt herum. Wohnungen stehen nicht leer, während ihre Bewohner im Urlaub sind. Menschen teilen vorhandene Ressourcen, statt sich durch Kauf das exklusive Nutzungsrecht zu sichern. Das ist effizient und schont Ressourcen. Und bietet Menschen Zugang zu Wissen und Ressourcen, die sie sich sonst nicht leisten könnten. Der US-amerikanische Bestseller-Autor und Zukunftsforscher Jeremy Rifkin ist einer der Vordenker der Sharing-Bewegung – er sieht angesichts der Sharing Economy das „Ende des Kapitalismus“ aufziehen – in naher Zukunft werde sich eine gemeinschaftlich organisierte, kollaborative Form des Wirtschaftens durchsetzen, in der jeder Mensch Zugang zu Wissen und Dingen hat, sie nahezu kostenlos anbieten und teilen kann.
So rosig und sozialromantisch sieht die Realität der Sharing-Dienste derzeit allerdings nicht aus. Denn über die Online-Plattformen werden nicht nur Dinge geteilt – sondern auch Dienstleistungen, also Arbeitskraft. Die Plattform-Betreiber sind Auftrags- und Arbeitgeber – und die Arbeitsbedingungen, die sie bieten, würden viele Menschen eher nicht als attraktiv bezeichnen. Wo es um das Teilen von Arbeitskraft geht, wird die Sharing Economy zur Gig Economy.
Hinter der Gig Economy, auch Plattformökonomie genannt, steckt ein neues, digital gesteuertes Arbeitsmodell. Die Beschäftigten arbeiten wie gebuchte Künstler, die sich von Auftritt zu Auftritt, also von Gig zu Gig hangeln. Statt von morgens um neun bis nachmittags um fünf Uhr am Schreibtisch zu sitzen, sind sie auftragsweise im Einsatz. Sie stehen bereit, wann immer jemand im Internet eine Dienstleistung ordert: Sie fahren für Startups wie Deliveroo oder Foodora Essen aus, putzen für Plattformen wie Helpling bei Fremden, reparieren vermittelt über Online-Handwerkerdienste Waschbecken, bieten ihre Dienste als Webdesigner, Programmierer, Redenschreiber oder Werbetexter über Twago an.
Dirigent des Arbeitsalltags dieser Click-Worker und Solo-Selbstständigen in der Gig Economy ist nicht der Chef, sondern die App des Unternehmens, für das die Arbeiter tätig werden. Die App zeigt an, wer wann und wo gebraucht wird – und legt den Schichtplan fest. Automatisch.
Positiv betrachtet sind das Jobs, in denen Menschen flexibel und selbstbestimmt entscheiden, welche und wie viele Aufträge sie annehmen. Die Kehrseite der Medaille: Wo jeder über die Plattformen seine Arbeitskraft anbieten kann, setzen sich Billiganbieter und Amateure, die nur einen netten Nebenverdienst suchen, gegenüber teuren Profis durch – ein harter Preiswettbewerb entsteht. Automatisierte Prozesse, die hinter den Apps und Online-Plattformen stehen, sind zudem vor allem auf Effizienzsteigerung ausgerichtet. Entsprechend hoch ist der Druck, der auf den Menschen lastet, deren Arbeitskraft von diesen künstlichen Intelligenzen vermittelt wird. Bei Unternehmen wie Deliveroo und Foodora misst die App zum Beispiel ständig die Leistung der Lieferdienst-Fahrer: ihre Durchschnittsgeschwindigkeit, die Aufträge, die sie pro Stunde erledigen, wie lange sie pro Auftrag unterwegs sind. Die Zeit läuft auch, wenn ein Fahrer suchend herumfährt, weil er eine Adresse nicht finden kann. Für Fehlverhalten – nicht zum Dienst erscheinen, nicht die korrekte Arbeitskleidung tragen – gibt es automatisierte Abmahnungen. Und irgendwann: eine automatisierte Kündigung. Einen virtuellen Gewerkschafts-Algorithmus, der sich in die Abläufe einklinkt und prüft, ob diese Abmahnungen gerechtfertigt sind, und der soziale Aspekte mit in die Entscheidungskriterien einrechnen könnte, gibt es nicht.
Kritiker sagen deshalb: Die Sharing Economy ist nicht das Ende des Kapitalismus. Sie ist vielmehr sein endgültiger Sieg, die Totalkapitalisierung der Gesellschaft und der Arbeitswelt.
„Welche Hoffnungen und Ängste sich in Bezug auf die Sharing Economy letztlich bewahrheiten werden, wird wohl auch davon abhängen, welche gesetzlichen Rahmenbedingungen Staaten und internationale Organisationen setzen werden“, sagt Lohncheck-Experte Tobias Egli. „Die Politik muss dafür sorgen, dass die Sharing Economy nicht aus dem Ruder läuft.“ Lösungsansätze werden bereits diskutiert. So propagieren etwa Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens, dass eine digitalisierte Wirtschaftswelt nur durch eine mindestens teilweise Entkoppelung von Arbeit und Lohn sozial gestaltet werden könne.