EU will Lohngleichheit
Die EU-Kommission will den Gender-Pay-Gap bekämpfen – und plant ein strenges Gesetz für mehr Lohntransparenz. Für ungerechte Löhne müssten Unternehmen womöglich Schadenersatz zahlen. Und sogar in ihren Lieferketten für Lohntransparenz sorgen.
Frauen verdienen weniger als Männer – diese Feststellung gilt in allen europäischen Ländern. Im Schnitt sind es europaweit pro Stunde 14,1 Prozent weniger Lohn, die Frauen für die gleiche Arbeit verdienen als Männer. Zum Vergleich: In der Schweiz beträgt der Lohnunterschied 14,4 Prozent – und auch hier gilt der Befund: Je höher die berufliche Stellung, umso grösser fällt die Lohndifferenz zwischen den Geschlechtern aus. Nur ein Teil dieser Differenz kann durch objektiv nachvollziehbare Faktoren wie Unterschiede im Bildungsniveau, bei der Berufs- oder Führungserfahrung erklärt werden. Trotz vieler internationaler und nationaler Vorstösse und Projekte für mehr Lohngleichheit hat sich daran in den vergangenen Jahren in der Praxis wenig geändert. Tatsächlich legen jüngste Studien und Berichte sogar nahe, dass sich in den Pandemie-Monaten der Gender Gap noch weiter vertieft hat.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte eigentlich bereits bei ihrem Amtsantritt versprochen, innerhalb von 100 Tagen einen Vorschlag zu machen, wie sich das ändern lässt. Verspätet löst sie dieses Versprechen nun ein: Die EU-Kommission hat einen Vorschlag für eine EU-Richtlinie gemacht, die für mehr Transparenz und Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt sorgen soll. Die geplante EU-Richtlinie ist dabei deutlich strenger als das die Lohntransparenzvorschriften, dies seit dem vergangenen Jahr in der Schweiz gelten.
Was sind die wichtigsten Unterschiede zwischen den geplanten Lohntransparenz-Richtlinien in der EU und den Fair-Pay-Vorgaben in der Schweiz?
Transparenz schaffen: Nur grosse Unternehmen in der Pflicht. Ähnlich wie in der Schweiz sollen Arbeitnehmer nach dem Vorschlägen der EU-Kommission ein Recht bekommen, von ihrem Arbeitgeber Auskunft über ihr Einkommen und über mögliche strukturelle Ungleichheiten bei den Löhnen im Betrieb zu bekommen. Während in der Schweiz allerdings Unternehmen schon ab 100 Mitarbeitern entsprechende Lohngleichheits-Analysen durchführen und offenlegen müssen, sieht der EU-Vorschlag eine Grenze von mindestens 250 Mitarbeitern vor.
Härtere Konsequenzen bei Lohngefälle: Anders als in der Schweiz sind im EU-Entwurf allerdings klarere Konsequenzen für Unternehmen vorgesehen, wenn die Lohngleichheitsanalysen unfaire Strukturen zeigen. Beträgt das geschlechtsspezifische Lohngefälle mehr als fünf Prozent, müssen Arbeitgeber alle Löhne in Zusammenarbeit mit Arbeitnehmervertretern neu bewerten. Die Beweislast liegt beim Arbeitgeber: Unternehmen müssen nachweisen, dass sie keine diskriminierenden Lohnstrukturen pflegen.
Entschädigungen und Sanktionen: Kommt bei der Lohnbewertung heraus, dass einzelne Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter zu wenig verdient haben, sollen sie dafür entschädigt werden – gegebenenfalls auch rückwirkend durch eine Nachzahlung des entgangenen Gehalts. Das gilt auch für entgangene Boni. Die einzelnen EU-Länder sollen zudem auch Sanktionen für Verstösse gegen den Gleichheitsgrundsatz festlegen, das können zum Beispiel Geldstrafen sein. Unternehmen könnten sich dabei Sammelklagen von Arbeitnehmervertretern und NGOs ausgesetzt sehen, die die Kommission explizit erlauben will.
Transparenz auch für Bewerber: Laut dem Kommissionsvorschlag müssen Unternehmen nicht nur gegenüber ihren Angestellten für Transparenz bei den Löhnen sorgen, sondern auch gegenüber Bewerberinnen und Bewerbern. In Stellenausschreibungen und im Bewerbungsgespräch sollen Arbeitgeber verpflichtet werden, Angaben zu typischen Einstiegsgehältern in vergleichbaren Positionen zu machen. Arbeitgebern wird es gleichzeitig nicht gestattet sein, Arbeitsuchende nach ihrer früheren Vergütung zu fragen.
Druck aus Brüssel: Auch Zulieferer sollen faire Löhne zahlen
Im Blick behalten müssen Unternehmerinnen und Unternehmer ausserdem ein weiteres von der EU geplantes Gesetz: Ein neues Lieferkettengesetz soll Unternehmen dazu verpflichten, in ihren Lieferketten die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards sicherzustellen. Dazu gehören auch: faire und diskriminierungsfreie Löhne. In Zukunft müssen sich Unternehmen also auch Gedanken darüber machen, wie sie Transparenz über die Lohnstrukturen bei ihren Zulieferern herstellen können.
Kommissionspräsidentin von der Leyen fasst die Brüsseler Ziele zusammen: „Gleiche Arbeit verdient gleiches Entgelt. Und für gleiches Entgelt braucht man Transparenz. Arbeitnehmerinnen müssen wissen, ob ihre Arbeitgeber sie fair behandeln. Sollte dies nicht der Fall sein, dann müssen sie sich zur Wehr setzen können und das bekommen, was ihnen zusteht.“
Wie geht es nun weiter?
Der Kommissions-Vorschlag wird nun dem Europäischen Parlament und dem Rat zur Billigung vorgelegt. Nach seiner Annahme haben die Mitgliedstaaten der EU dann zwei Jahre Zeit, um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. „Unabhängig davon, welche konkreten Regelungen es dann in den einzelnen Ländern geben wird, ist sicher: Der Druck auf Unternehmen, mehr Transparenz über Lohnstrategien und -strukturen zu schaffen, wird steigen“, sagt Lohncheck-Chef Tobias Egli. Für Unternehmen kann sich die neue Transparenz aber sogar positiv auswirken: „Wer sich einen detaillierten Überblick über gewachsene Lohnstrukturen verschafft, kann auf dieser Basis eine moderne und nachhaltige Lohnstrategie entwerfen“, sagt Egli. Digitale Tools wie Lohncheck Pro helfen dabei, die vorhandenen Daten im Unternehmen auszuwerten, Ungleichheiten aufzudecken – und gleich auch Ansätze für eine zeitgemässere Lohnpolitik zu finden.