Rentenreform 2020 > Das verändert sich
Ein erheblicher Teil des Bruttogehalts fliesst jeden Monat in die gesetzliche Altersvorsorge. Das System ist allerdings unterfinanziert, im September stimmen die Schweizer über eine Reform der Rente ab. Lohncheck.ch gibt einen Überblick über aktuelle Abzüge – und was sich mit der Reform für Arbeitgeber und Arbeitnehmer ändern würde.
Hier einige hundert Franken pro Jahr weniger, dort einige hundert mehr: Wenn die Schweizer am 24. September über die Reform der Altersvorsorge abstimmen, geht es ums liebe Geld. Mit dem so genannten „Projekt 2020“ will die Regierung das Problem der zunehmenden Unterfinanzierung beheben und das Rentensystem stabilisieren. Die geplante Reform ist komplex, ihre Erfolgsaussichten ungewiss: „Ob die Stabilisierung langfristig gelingt, ist unabhängig vom Ausgang des Referendums fraglich, weil Megatrends wie der demographische Wandel das staatliche Rentensystem dauerhaft unter Druck setzen“, sagt Tobias Egli, Chef des Gehaltsportals www.lohncheck.ch. Fest steht hingegen eines: Die Rentenbeiträge für Arbeitnehmer und Arbeitgeber werden nach dem Willen der Reformer steigen.
Daran führt kein Weg vorbei, sind sich Experten einig. Denn die Schweizer Altersvorsorge ist mit mehreren Problemen konfrontiert: Erstens ist das Rentensystem zum grossen Teil umlagefinanziert. Bedeutet: Die heutigen Rentner leben von dem, was die jetzigen Arbeitnehmer einzahlen. Die Schweizer werden aber immer älter, die Zahl der Rentner wächst, und es kommen nicht genug Junge nach, um den Effekt auszugleichen. „Die Bevölkerungspyramide bekommt eine immer breitere Spitze, das ist das grösste Problem“, sagt Gehaltsexperte Egli. „Streng genommen dürfte nur so viel verteilt werden wie rein kommt, ansonsten leben die Alten auf Kredit der Jungen. Letzteres passiert bereits heute.“ Zweites Problem: Ein Teil der Rente wird aus angespartem Kapital bezahlt, das wegen des andauernd niedrigen Zinsniveaus weniger Rendite als früher abwirft. Derzeit ist nicht absehbar, wann sich diese Situation wieder ändern wird.
Die Reform betrifft die ersten beiden der insgesamt drei Säulen des Schweizer Rentensystems: In die erste Säule, die „Alters- und Hinterlassenenversicherung“ (AHV) zahlen Arbeitnehmer und -geber bislang jeweils 5,125 Prozent und damit insgesamt 10,25 Prozent des Monatsgehalts ein. Mit 8,4 Prozent fliesst der Löwenanteil des Lohnabzugs in die Altersvorsorge, die verbleibenden 1,85 Prozent fliessen in die Invalidenversicherung und so genannte Ergänzungsleistungen. Im Rahmen der geplanten Reform würde der AHV-Beitrag zum Jahr 2021 um 0,3 Prozentpunkte steigen. Die Mehreinnahmen sollen komplett in die Altersvorsorge fliessen, der AHV-Beitrag läge dann bei 8,7 Prozent. Heisst: Bei einem Jahresbruttoeinkommen von beispielsweise 60.000 Schweizer Franken würde der jährliche AHV-Beitrag um 180 Franken steigen, von 6.150 auf 6.330 Franken.
Die Reformer wollen auch die zweite Säule anpacken, die so genannte Betriebsrente aus den Pensionskassen. Zum einen soll der so genannte Koordinationsabzug sinken: Dieser Betrag ist eine Art Freibetrag: Vor der Berechnung der Abzüge für die Betriebsrente zieht man ihn vom Bruttogehalt ab. Übrig bleibt der so genannte „koordinierte Lohn“, auf dessen Basis die Abzüge zur Betriebsrente ermittelt werden. Der Koordinationsabzug lag bislang pauschal bei 24 674 Franken pro Jahr und würde mit der Reform nach Einkommen gestaffelt auf 14.100 bis 21.150 Franken sinken. Damit würde im Umkehrschluss der koordinierte Lohn als Bemessungsgrundlage steigen. Zudem sollen für einige Altersgruppen auch die Beitragssätze zulegen: Nur für die jungen, also 25- bis 34-Jährige bliebe es bei sieben Prozent des koordinierten Lohns. Der Beitragssatz für 35- bis 44-Jährige soll dagegen um einen Prozentpunkt auf elf Prozent steigen, für 45- bis 54-Jährige ebenfalls um einen Prozentpunkt auf dann 16 Prozent, 55- bis 65-Jährige würden unverändert 18 Prozent zahlen. Damit würden zum Beispiel für Arbeitnehmer im Alter von 35 bis 54 Jahre und einem Jahreseinkommen von 60.000 Franken die Beiträge zur Altersvorsorge nochmal um rund 740 Franken pro Jahr steigen. Trostpflaster aus Sicht der Arbeitnehmer: Der Arbeitgeber zahlt die Hälfte der Beitragserhöhungen. „Damit bekommen die Beitragserhöhungen zumindest teilweise den Charakter einer Gehaltserhöhung“, sagt Egli. Für Frauen würden die Beiträge in beiden Säulen noch deutlich massiver steigen, weil ihr Renteneintrittsalter nach dem Willen der Reformer ab dem Jahr 2018 in vier Schritten von bislang 64 auf 65 Jahre und damit auf das gleiche Alter wie bei Männern steigt.
Die steigenden Beiträge sollen gewährleisten, dass heutige Arbeitnehmer später eine auskömmliche Rente erhalten. Denn während die Einzahlungen steigen, werden die Auszahlungen aus dem jeweils angesparten Altersguthaben vor allem in der zweiten Säule sinken: Bislang zahlen die Pensionskassen an Rentner einen jährlichen so genannten Mindestumwandlungssatz von 6,8 Prozent der angesammelten Altersgutschriften. Heisst: Wer in seiner betrieblichen Altersvorsorge 100.000 Franken angespart hat, bekommt nach derzeitigem Stand bis an sein Lebensende 6.800 Franken pro Jahr gezahlt. Die Reformer wollen den Umwandlungssatz ab dem Jahr 2019 schrittweise auf sechs Prozent senken, macht bei Gutschriften in Höhe von 100.000 Franken ein Minus von 800 Franken auf dann 6.000 Franken jährlich.
Wenig im Sinne der Reformen scheint es zu sein, dass Rentner, die ab 2018 in den Ruhestand gehen, monatlich pauschal 70 Euro mehr aus der AHV bekommen sollen. Das war für eine Mehrheitsbeschaffung offenbar notwendig. „Die Reform ist ein Kompromiss, der eher vom langen politischen Ringen als von sachlichen Argumenten geprägt ist“, sagt Gehaltsexperte Egli. Kritiker bemängeln denn auch, dass die Reform den Kollaps des Rentensystems nicht verhindert, sondern nur hinauszögert.
Bleibt die dritte Säule der privat finanziellen Vorsorge. Sie soll nicht angetastet werden, dort können Arbeitnehmer Einzahlungen weiterhin steuerlich geltend machen. Derzeit zahlen die Schweizer jährlich rund sechs Milliarden Franken pro Jahr in die private Altersvorsorge: „Wer die dafür nötigen finanziellen Mittel hat, sollte auf jeden privat vorsorgen“, sagt Egli. „Die ersten beiden Säulen werden weiterhin Probleme haben, ob die geplante Reform nun kommt oder nicht.“