Mehr Lohn für Frauen
Frauen bekommen für denselben Job weniger Geld als Männer. Aber wie gross ist diese Lohnlücke tatsächlich? Mal heisst es, Frauen verdienten mehr als zwanzig Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen – mal ist die Rede von nur zwei bis drei Prozent Gehaltsunterschied zwischen den Geschlechtern. Wie kann das sein?
In der Schweiz geht es in Sachen Gleichberechtigung keinen Schritt vorwärts – nein, die Kluft zwischen den Geschlechtern wird sogar immer tiefer! So meldeten es jedenfalls viele Schweizer Medien, nachdem im 2023 der Gleichstellungsbericht des Weltwirtschafts-Forums (WEF) herauskam. Denn glaubt man dem jährlich erscheinenden Lagebericht in Sachen weltweite Gleichberechtigung, so hat die Schweiz in den vergangenen zehn Jahren deutlich weniger Fortschritte bei der Gleichstellung gemacht als andere westeuropäische Staaten. Ein wichtiges Indiz: Frauen verdienten im Schnitt nach wie vor nur 83 Prozent eines Männergehalts.
Kann das tatsächlich wahr sein – zahlen Schweizer Unternehmen Frauen im Jahr 2018 durchweg noch immer ein Fünftel weniger als Männern, im gleichen Job, bei gleicher Qualifikation? Und wird diese Lohnlücke im Verlauf der Jahre noch dazu grösser statt kleiner? Das wäre in der Tat ein Skandal. Zumal der Ständerat gerade erst eine Gesetzesvorlage des Bundesrates zurückgewiesen hat, der Unternehmen verpflichten sollte, ihre Gehaltsstruktur regelmäßig auf eine Ungleichbehandlung von Frauen und Männern zu überprüfen.
Tatsächlich ist die Ausgangslage nicht so klar, wie es die WEF-Studie suggeriert. Die nüchternen Zahlen sind bei genauerem Hinschauen weniger eindeutig als es auf den ersten Blick scheint. So misst etwa der WEF gar nicht konkrete Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen – sondern wertet den Gesamtbeitrag der Geschlechter zur Wirtschaftsleistung des Landes aus. Ob tatsächlich für die gleiche Position bei gleicher Qualifikation weniger gezahlt wird, lässt sich aus den WEF-Daten also gar nicht ablesen.
Der Schweizer Bundesrat hat einmal genauer nachgerechnet, um das tatsächliche Ausmass der Lohnlücke im Lande zu messen. Dazu liessen die Statistiker auch Faktoren wie Dienstjahre, Ausbildung und Stellung im Unternehmen in die Berechnung einfliessen. Und siehe da: In dieser Auswertung verschwindet der Gender Pay Gap zwar nicht – aber er schrumpft, auf rund neun Prozent. Dieser verbleibende „nicht erklärbare“ Unterschied entspricht allerdings immer noch einem Gehaltsunterschied von rund 8000 Franken pro Jahr. Und nebenbei kam bei der Analyse auch noch heraus, dass dieser Lohnunterschied bei Bund, Kantonen und Gemeinden sogar höher ausfällt als in der Privatwirtschaft.
Kritiker merken derweil an, dass diese Zahlen noch immer nicht realistisch seien. Die Personalberatung Korn Ferry rechnet beispielsweise zusätzlich noch die Effekte unterschiedlicher Unternehmensgrössen, Funktionen und Branchen heraus – und kommt damit auf eine statistisch nicht erklärbare Gehaltslücke von nur noch zwei Prozent zwischen Männern und Frauen.
Dieser Effekt zeigt sich so oder so ähnlich nicht nur in der Schweiz, sondern laut der Korn Ferry Studie in insgesamt 25 untersuchten Ländern. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW).
Wie aber passen die Ergebnisse der Statistiken nun zusammen? Nun: Frauen bringen im Schnitt weniger Geld nach Hause als Männer – aber das liegt nur zu einem geringen Teil an einer Diskriminierung über den Lohn in den einzelnen Unternehmen. Zwar sorgen spektakuläre Fälle von Ungleichbehandlung wie jener der BBC-Moderatorin Carrie Gracie immer wieder für Aufregung: Die Bürochefin der BBC in China schmiss ihren Job hin, um darauf aufmerksam zu machen, dass Männer in dem britischen Medienunternehmen für den selben Job bis zu 50 Prozent mehr Lohn erhalten. Und auch in Schweizer Unternehmen gibt es offenbar Angleichungs-Bedarf, wie ein Projekt beim Versicherungskonzern Zurich zeigt: Um mit dem Gleichstellungs-Label Edge zertifiziert zu werden, analysierte das Unternehmen Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen im Konzern. Und tatsächlich: in mehreren Fällen musste Zurich Löhne anheben oder absenken, weil es keinen guten Grund für Gehaltsunterschiede zwischen männlichen und weiblichen Angestellten gab.
Für die höchste Edge-Zertifizierung fehlt Zurich Schweiz allerdings auch nach der Lohnangleichung noch ein wichtiger Faktor: Mehr Frauen im Management. Und so zeigt sich auch das grundlegende Dilemma: Allein durch transparente Löhne in den Unternehmen und durch Angleichungen von Gehältern wie bei der Zurich wird sich die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen nicht schliessen lassen. „Der Grossteil der Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen entsteht dadurch, dass Frauen im Schnitt in der Unternehmenshierarchie eher niedrigere und damit schlechter bezahlte Positionen und Funktionen übernehmen“, erklärt Lohncheck-Chef Tobias Egli. „Frauen sind zudem überdurchschnittlich oft in Branchen tätig, in denen das Lohnniveau vergleichsweise niedrig ist.“ Frauen arbeiten auch häufiger als Männer in kleinen und mittelständischen Unternehmen – die im Schnitt weniger zahlen als grosse Konzerne.
All diese Faktoren hängen mit einem weiteren statistisch eindeutigen Befund zusammen: „Frauen arbeiten sehr viel häufiger Teilzeit, wechseln oft in weniger anspruchsvolle Berufe und nehmen sich längere Auszeiten als Männer, wenn sie eine Familie gründen“, sagt Egli. Eine Auswertung des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt: Je kürzer Frauen nach der Geburt eines Kindes aus dem Job aussteigen und je schneller sie wieder in Vollzeit arbeiten, desto geringer fällt die Gehaltslücke zu ihren männlichen Kollegen aus.
Eine US-Studie kommt gar zu dem Schluss, dass jedes Kind eine hoch qualifizierte Frau vier bis zehn Prozent ihres künftigen Gehalts kostet. Die Gehaltslücke kann und wird sich also nur dann schliessen, wenn Männer und Frauen sich die Kinderbetreuung teilen. Wenn eine ausreichende Betreuungs-Infrastruktur für Familien mit kleinen Kindern vorhanden ist, so dass beide Elternteile einem gutbezahlten Job nachgehen können. Und wenn alle Unternehmen, Branchen und Berufe bei der Jobwahl für Männer wie Frauen gleichermassen attraktiv und zugänglich sind.